Ontarios längstes Marathon-Paddelrennen
Das K2O ist eine besondere Regatta. Für mich ist es das Paddelrennen an sich. Es findet auf dem Rideau Waterway statt, der von Parks Canada verwaltet wird. Die Wasserstraße ist von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt worden. Sie verbindet die alte Hauptstadt Kingston mit der heutigen Hauptstadt Ottawa.
Für diejenigen, die die Gegend erkunden wollen, gibt es gute Online-Ressourcen, z. B. Watson’s Paddling Guide to the Rideau Canal. Die Tour von Ottawa nach Kingston oder umgekehrt ist eine gut einwöchige Reise. Der Spiegel hat im Jahre 2007 mal einen netten Artikel zu dem Thema veröffentlicht. Die Überschrift heißt Paddeln wie die Pioniere und ist im Archiv online verfügbar.
Es gibt noch andere Ultra-Marathon-Paddelrennen in Nordamerika, wie das Yukon River Quest, Missouri American Water MR340, dieTexas Water Safari. Diese sind zwar alle länger, aber alle von ihnen haben verpflichtende Zwischenstopps oder erwarten zumindest, dass die Teilnehmer unterwegs Pausen einlegen.
Nicht so im K2O. Die Siegerteams schaffen es oft unter 24 Stunden und die Zielschlußzeit beträgt 36 Stunden.
Das erste Mal las ich über das Rennen im Jahr 2014. Es gab da ein Webseite über ein verrückte Rennen auf dem Rideau. Damals hatte ich nur einen 14 Fuß langen 29 Zoll breiten Sit-on-Top-Kajak. Das war kein Boot, mit dem man an einem Rennen hätte teilnehmen können. Wie sich herausstellte, war der Organisator ein Kollege meiner Frau. Als er von meinem Interesse erfuhr hat er versucht, mich als Mitglied für eine Staffel zu gewinnen. Aber ich traute mich nicht, ich war noch nicht soweit. Im Sommer des Jahre reiste ich zu einer Paddeltour nach Island. Im Herbst kaufte ich dann mein erstes Fiberglasboot - ein Wilderness Tempest 170PRO.
Die Dinge haben sich geändert. Das K2O hat sich geändert. Inzwischen hatten sie eine halbe Strecke für Feiglinge wie mich im Angebot, die beim ersten Mal nicht über die vollen 200 km gehen wollten.
100 km schienen mir machbar.
Ich fand andere Verrückte. Einer davon arbeitet auf dem gleichen Flur wie ich im Büro. Wir beide paddelten von der 8th Line Brück nördlich von Westmontrose nach Paris, Ontario auf Grand River. Wir machten 88,3 km. Unsere Arbeitskollegen nannten es das “Epic Paddle”. Der Name blieb. Wir waren enttäuscht, dass wir die magische 90 km-Marke nicht erreicht hatten. Deswegen starteten wir 2017 einige Kilometer weiter flussaufwärts an der unteren Brücke der Elora-Schlucht. Den Tag zeigte der Kilometerzähler auf meinem GPS 93.4 km an. Angesichts der neuen Strecke war es auch viel eingängiger zu sagen: “Wir paddelten von der Elora-Schlucht nach Paris, an einem Tag.” Niemand wusste, wo die 8th Line den Grand überquert. Heuer - 2018 - waren wir vier Kajaks und ein Kanu, welche die gesamte Strecke bewältigten (https://www.endomondo.com/users/2331405/workouts/1137787341). Wir planen ein Epic Paddeln für das nächste Jahr. Es ist offen für alle, die glauben, in 14 Stunden 94 km paddeln zu können. Möglicherweise haben wir eine Tradition gestartet.
Im August 2016 nahm ich mit meinem 17ft Tourenkajak am K½O teil. Ich paddelte von Kingston nach Smiths Falls in 16 Stunden und 24 Minuten. Auf dem Weg dorthin mußte ich wegen eines Gewitters mit sintflutartigem Regen eine Stunde Unterschlupf suchen. Ich bemerkte, dass die guten Paddler alle in einem EPIC-Kajak zu sein schienen. Nach dem Rennen beschloß ich, wenn ich jemals die volle Strecke paddeln würde bräuchte ich auch einen EPIC.
Daraufhin habe ich auf Kijiji einen Alarm für EPICs eingerichtet. Als im September eine Anzeige erschien für einen EPIC 18X Sport auftauchte mußte ich einfach zuschlagen. Es war ein Schnäppchen.
Mein Plan war am Rennen in 2017 teilzunehmen. Im November 2016 fuhren wir nach Florida, wo ich einen brandneuen EPIC 18X Sport mieten konnte. Ich paddelte jeden Tag durch die Mangroven und hatte nach zwei Wochen 320 km zurückgelegt. Danach meldete ich für den Wettbewerb in 2017. Wir hatten unser Epic Paddel im Frühsommer. Insgesamt hatte ich mehr als 1,200 km zurückgelegt. Ich hatte eine größere Supportmannschaft aufgestellt, um auch die Nacht abzudecken. Ich war vorbereitet.
Worauf ich nicht vorbereitet war, war eine Verletzung.
10 Tage vor dem Rennen klemmte ich mir einen Nerv im rechten Bein. Ich folgte dem Rat meines Arztes und sagte meinen Start am Dienstag vor dem K2O 2017 ab. Ich war am Boden zerstört.
Ein neues Jahr, ein neues Rennen. Im Jahr 2018 kam dann alles zusammen.
Wir wohnen in Kitchener, ON. Wir nahmen uns den Freitag frei und fuhren nach Kingston. Ich hatte ein Hotelzimmer gebucht, das 15 Autominuten vom Start im Cataraqui Canoe Club entfernt war. Wir haben am Nachmittag eingecheckt. Ich hatte ein gutes Gespräch mit den Leuten von Infinite Blue welche als Sponsoren einen improvisierten Verkaufsstand aufgebaut hatten. Lynne kaufte mir zu meinem Geburtstag im September eine Paddelhose, die ich für das Rennen trug.
Ich habe mein Boot im Club für die Nacht im Bootsschuppen einschließen lassen. Ein großes Dankeschön an die Clubmitglieder für die Erlaubnis, ihre Räumlichkeiten zu nutzen. Von dort ging es zum Abendessen in die Innenstadt von Kingston. Ich hatte eine große Schüssel Nudeln mit Huhn; und Bier.
Der Wecker ging um 04:30 Uhr los. Während ich mich anzog, ließ ich die Kaffeemaschine im Zimmer laufen. Es war noch zu früh, um etwas zu essen. Wir kamen um 05:15 Uhr im Club an. Ich holte meinen Kajak aus dem Bootshaus und bereitete mich auf den Start vor. Ich band meine kleine GPS-Halterung auf das Deck, schob die Karten in das SealLine Kartenetui und befestigte sie an den Decksleinen. Ich stopfte das Paddelfloat hinter den Sitz, band das Ersatzpaddel und die Pumpe auf dem Achterdeck fest. Die Wurfleine und das Essen gingen in die Tagesluke.
Es war windig, undzwar mehr als ich am frühen Morgen erwartet hätte. Die Vorhersage für Samstag sah Süd- bis Südostwind mit Geschwindigkeiten um 10 - 15 km/h und noch mehr in Böen vor. Das hatte mir schon nicht gut gefallen. Ich erinnerte mich an die Bedingungen im Jahr 2016, als wir sehr starke Winde von hinten hatten, die für ein sehr technisches Paddeln sorgten. Meine Bedenken betrafen nicht so sehr das Flusspaddeln. Der Wind wäre dort nur ein Ärgernis. Ich hatte Angst vor dem Abschnitt, in dem wir am Rande des Ontariosees unterwegs waren.
Im Urlaub kenterte ich auf dem Huronsee. Zwei Versuche einer Eskimorolle schlugen fehl und zwangen mich zu einem “wet exit”. Mit meinem Paddelfloat konnte ich auch nicht umgehen. Ich brauchte nur ein paar Minuten, um mit meinem Boot ans Ufer zu schwimmen. Aber es hatte einen Einfluss auf mein Selbstvertrauen. Ich habe mehrmals auf dem Guelph Lake trainiert, um mein Rollen zu verbessern und Erfahrungen mit der Selbstrettung zu sammeln. Aber das Gefühl des Unbehagens hatte mich nicht verlassen.
Ich habe mein Handy in den Energiesparmodus versetzt. Daraufhin zeigte es 30 Stunden Laufzeit an. Dann schaltete ich es ab, weil das vielleicht nicht genug gewesen wäre. Ich würde es später auf den langen Etappen wieder einzuschalten. Trotzdem habe ich es in eine wasserdichte Hülle gepackt und in der Vordertasche meiner Rettungsweste mit einem Karabinerhaken gesichert verstaut.
Am Abend zuvor hatte ich eine Schale Joghurt mit einer halben Tasse Haferflocken und Rosinen gemixt. Das war mein Frühstück. Ich erwartete, daß ich in knapp 2 Stunden an der ersten Schleusenstation in Kingston Mills ankommen würde. Lynne würde während dieser Zeit meine Thermosflaschen mit Kaffee füllen. Ich hatte eineinhalb Liter Wasser in meiner Trinkblase auf dem Rücken, was völlig ausreichen würde.
Ich habe mein SPOT3-Gerät von Registrierung abgeholt. Das SPOT3 ist ein Zwei-Wege-Satelliten-Tracker. Das Gerät sendet alle 5 Minuten ein Positions-Update über Satellit. Es kann ein Lebensretter sein, wenn man sich in entlegenen Gebieten verirrt. Es gibt den Organisatoren die Position der einzelnen Rennteilnehmer und gibt die Daten auch an den Online-Tracker während des Rennens weiter. Damit konnte man uns Live verfolgen. Wie ich später herausfand, kann man auch das ganze Rennen nachspielen.
Noch ein letzter Gang auf die Toilette, wo es nur eine kurze Warteschlange gab und dann ging es zum Steg.
Wie üblich waren beim Start alle dicht beieinander. Ich bleibe immer am Ende. Ich kämpfe um die Ankunft, nicht um einen Platz auf dem Podium. Während wir auf das Startsignal warteten, bemerkte ich, dass bereits ein Paddler im Wasser war und ein leerer Kajak aus dem Weg geschoben wurde. Jemand kenterte vor dem Start.
Um 06:01:00 Uhr ging es schließlich los.
Zuerst ging es raus auf den Ontariosee. Es war noch unangenehmer, als ich befürchtet hatte. Die Wellen waren ungefähr 0,5 m hoch und kamen von links. Ich versuchte die Wellen zu schneiden, um meine Balance besser zu kontrollieren. Ein paar Mal wäre ich fast gekentert. Während ich gegen die Wellen kämpfte, hatte Shawn (Team Creek Freak) bereits die Wendeboje umrundet und kam auf seinem Weg zurück nach Norden an mir vorbei. Der Mann ist eine Maschine! Hinter einem Wellenbrecher direkt neben dem Ahoi-Bootsvermietung konnte ich kurz verschnaufen und meine Handschuhe anziehen. Das hätte ich gleich von Anfang an machen sollen! Danach gings weiter.
Nach der Wende führte der Kurs zurück nach Norden während ich - noch immer in den Wellen - fortwährend unzitierbare deutsche und englische Schimpfwörter grummelte. Ich nahm einen Kurs hart am Wind, um den Schutz der Halbinsel der gegenüberliegenden Halbinsel auszunutzen. Es gab einige Paddler in Freizeitkajaks ohne Spritzschutz. Ich frage mich, wie viel Wasser sie genommen haben, während sie da draußen waren. Als ich am RMC (Royal Military College) vorbeikam, sah ich dort ein Kanu auf dem Steg. Die Jungs hatten so viel Wasser mitgenommen, dass sie an Land ihr Boot leeren mußten.
Der Cataraqui war windgeschützt. Es ging gut voran. Ich war um 7:32 am Steg der Kingston Mills Schleusenstation. Die ersten 12 km des Rennens waren geschafft.
Weil ich ein schnelles Kajakmodell paddele, mußte ich in der “Wettkampfkategorie” starten. Ursprünglich hatte ich wie vor zwei Jahren für die “Freizeitkategorie” gemeldet. Die Rennleitung hatte jedoch meine Anmeldung nicht akzeptiert und mich in die Wettkampfkategorie eingestuft. Mit einem EPIC wird man nicht mehr als Freizeitpaddler angesehen. Das wäre an sich kein großes Problem außer für die Regel, dass man keine Unterstützung beim Bewegen seines Kajaks in Anspruch nehmen darf. Das Reglement schreibt vor, dass ich mein Boot ohne fremde Hilfe aus dem Wasser heben muss. Keine Person außer mir darf das Boot bewegen. Meine Crew kann beim Ein- und Aussteigen stabilisieren, mehr ist nicht drin. Ausnahme sind die Schleusen in Old Slys und Long Island, da diese zu schwer zu umtragen sind. Dort wäre es ein Sicherheitsrisiko.
Also gut.
Ich habe die folgende Technik: Zuerst hebe ich das Boot auf meine Oberschenkel und in einem zweiten Schritt lege ich es auf meine (meist rechte) Schulter. Ich hatte vergessen, dass Kingston Mills eine der längeren Portagen hat. Man muß 350 m weit gehen und dann noch 14 m Höhe gewinnen. Nach 100 m mit meinem Kajak habe ich eingesehen daß das zu lange dauert und das Boot auf meinen kleinen Wagen gesetzt. Bevor es weiter ging packte ich meinen Starbucks Latte und den Ingwer-Melasse-Keks, den Lynne besorgt hatte. Das klingt für manche Leser jetzt nicht nach sportlichem Essen, aber für mich funktionierts.
Hinter Kingston Mills beginnt der Styx. Ich konnte zwei Kajakfahrer vor mir sehen. Wie ich später erfahren sollte, war einer von ihnen Brian King aus Ottawa (Team Haulin’ Yak - King). Ich versuchte zu ihnen aufzuschließen.
Am Ende des offeneren Fluss Styx führt die Strecke später in engere Kanäle. Ich passierte die Schleusen Lower Brewers und Upper Brewers.
Beim Briefing am Freitagabend wurden wir an die Brass Point Brücke erinnert. Sie ist sehr niedrig, aber wenn man den Kopf unten hält, kann man als Paddler ohne Probleme passieren. Als ich mich der Brücke näherte, wurde sie für einen Jetski geöffnet. Der Brückenwärter hielt die Autos für mich noch 30 Sekunden länger zurück und ließ mich ebenfalls passieren. War sehr praktisch.
Ein Wort zu den Jetskies oder Seadogs, wie die Bombardier-Marke hier genannt wird. Die sind ein allgemeines Ärgernis. Sie scheinen noch weniger Benehmen zu haben als “normale” Bootsführer. Ich bin mir sicher, diese Jetski-Fahrer sind nette Leute - an Land. Auf dem Wasser sind sie unnausstehlich. Bei einer Gelegenheit in einem der engen Kanäle vor den Jones Falls waren zwei Jetskis nah bei mir: Ein Mann - wahrscheinlich der Vater und ein anderer mit einer Frau und einem Teenager. Langsam passierten sie mich von hinten kommend und erzeugten eine große Bugwelle. Dann hielten sie 50 m vor mir an, um sich zu besprechen, während ich sie erneut überholte. Zwei Minuten später schienen sie eine Entscheidung getroffen zu haben und zogen weiter, nur um mich noch einmal zu überholen. Ich habe tödliche Drohungen ausgestoßen und alle Jetski-Fahrer ein für alle Mal verflucht bis sie schließlich hinter der nächste Flussbiegung verschwanden.
Aber nur fünf Minuten später kehrten sie von dort wieder zurück und passierten mich erneut. Ich habe überlegt, Luftunterstützung von der Royal Canadian Air Force anzufordern um das Problem ein für alle Mal zu erledigen.
Diese Typen waren nur die ersten von vielen, die später noch kamen. Wie sich herausstellte ist die Bugwelle umso kleiner je schneller sie fahren. Während des Halts in der Newboro Schleusenstation hatte ich ein Gespräch mit den Jungs vom Team Canoe Dig It und sie hatten die gleiche Beobachtung.
Nach den Brewers holte ich schließlich Brian vom Team Haulin’ Yak - King ein. Er paddelte einen Freizeitkajak von Clearwater Design. Ich war erstaunt wie schnell er damit war. Er kam am Ende drei Stunden vor mir ins Ziel in Ottawa. Brian erzählte mir, dass er eigentlich einer von vier Freunden war, die sich für das Rennen angemeldet hatten. Ich erinnere mich, dass wir beim Portaging in Kingston Mills ein sehr kurzes Gespräch hatten. Er schien kein Unterstützungsteam zu haben. Er erzählte mir, dass er mehrere Leute für die verschiedenen Schleusenstationen aufgestellt hatte und dass das Team von Kingston Mills nicht auftauchte. Später traf Lynne seine Mutter, die alle vier im Team unterstützte, aber ihrem Sohn den Vorzug gab (was sollte eine Mutter sonst tun?!). Der Paddler, der am Start kenterte, war einer von Brians Kumpels. Er erwähnte, dass die anderen drei Teammitglieder weniger erfahrene Paddler seien. Er selbst kam gut vorbereitet. Es war das erste Mal, dass er im K2O startete. Er erzählte mir, dass er in Vorbereitung auf den Wettkampf die Strecke mindestens dreimal gepaddelt sei, allerdings nie durch die Nacht. Einmal, als sie es doch versuchten, waren die Wellen auf dem Big Rideau so hoch, dass sie anlandeten und für die Nacht ein Zelt aufschlugen.
Wie sich später herausstellte, setzte Brian sein Wissen über die lokalen Wasserwege clever ein. Einmal hat er eine Abkürzung durch ein Wasserrohr genommen, auf die ich nie gekommen wäre. Bei den Jones Falls Schleusen ist er nicht am offiziellen Steg ausgestiegen. Stattdessen paddelte er weiter in die Jones Falls Bucht und verkürzte so die Portage. Es hat aber nicht viel geholfen, weil ich doch noch vor ihm weitergepaddelt bin. Seine überlegene Athletik gab ihm dann den großen Vorsprung im zweiten Durchgang. Aber bis Smiths Falls war ich noch vor ihm.
Nach dem Verlassen der Jones Falls Lockstation weicht der empfohlene Kurs vom offiziellen Fahrwasser ab und führt durch einige sehr enge Kanäle in den Sandsee. Hier hatte ich meine erste Begegnung mit einer Gruppe von Motorbooten mit QC-Nummern (Quebec), die um die Wette zur nächsten Schleuse Davis rasten. Diese Typen werfen noch größere Wellen als die lästigen Jetskis. Immer wenn ich die Bugwelle kommen sah, drehte ich den Kajak Richtung Welle. Dafür wurden Kajaks entworfen. Kanus haben es da schwieriger.
Ach ja, alle diese Motorboote haben noch gewartet, während ich später durch die Schleuenstation spaziert bin.
Bei Chaffey’s Lockstation habe ich neuen Kaffee von Lynne bekommen - yay! Danach ging es zum Newboro Lake.
Der Newboro Lake ist der erste größere See. Hier ging zum ersten wieder darum die die Windverhältnisse zu berücksichtigen. Vor zwei Jahren bin ich ganz Nahe am Ufer gepaddelt wegen der starken Winde seinerzeit. Dieses Jahr habe ich versucht, die Strecke zu optimieren und dabei den Wind zu vermeiden. Ich nahm einen direkteren Weg von Insel zu Insel, während ich versuchte, in den windgeschützten Gebieten zu bleiben. Es hat am Ende kaum was gebracht, aber es hat Spaß gemacht.
Bei den Narrows traf ich die Dos Amigos und Canoe Dig It. Das war die achte Schleuse auf unserer Reise nach Ottawa. Wir haben ein paar Minuten zusammen verbracht. Ich hatte ein Gespräch mit Radu Crisan von Dos Amigos. Wir kannten uns vom [Big East River X] in Huntsville. Wir haben unsere bisherigen GPS-Aufnahmen verglichen. Ich hatte etwas mehr als 73 km zurückgelegt und er war bei über 75 km. Wir waren uns einig, dass dies innerhalb der erwarteten Abweichung liegt. Obwohl wir die von den Organisatoren vorgeschlagenen GPX-Daten verwendet haben, haben wir nicht den exakten Kurs gepaddelt. Am Ende unseres Gesprächs sagte Radu: “75 km sind viel besser als 73, weil wir damit schon im vierten Achtel des Rennens sind.” Es war offensichtlich, dass er die gleichen Gedanken im Kopf durchspielte wie ich und vielleicht auch wir alle. Die Gesamtstrecke ist so überwältigend. Die Art und Weise, wie ich damit umgehe, ist, die volle Distanz in kleinere Stücke zu teilen - in 10% Segmente, in Drittel, Viertel, Fünftel und so weiter. Man vergleicht es mit bekannten Routen von zu Hause wie “Ich habe das EPIC Paddle Anfang des Jahres gemacht, das über 94 km geht. Ich bin immer noch 19 km darunter. Keine große Sache!”. Diese Gedanken helfen einem, mit den langen und manchmal monotonen Abschnitten umzugehen, die man durchfahren muss.
Der nächste Abschnitt würde über 30 km lang sein, ohne die Möglichkeit, zusätzliches Essen zu bekommen. Ich ließ meine kleine 1,5 l Mocke Blase zurück und staute 4 l zusätzliches Wasser in einer MSR Dromedarblase mit Trinkschlauch im Cockpit hinter meinem Rücken. Die hausgemachten Energiebälle und ein paar Clif Bars und Lörabars gingen in meine Tagesluke. Ich wusste, dass die Sonne an diesem Tag um 20:41 Uhr untergehen würde. Das Tageslicht wäre um 21:30 Uhr verschwunden. Ich wollte die nächste Schleuse erreichen, bevor es ganz dunkel wird. Ich habe noch keine Lampen eingepackt.
Lynne würde das Rennen jetzt verlassen und nach Ottawa fahren, wo sie das Auto meinem Schwager Kent übergeben würde. Der Plan war, dass er nach Poonamalie fährt, um mich dort zu treffen.
Die Narrows trennen den Upper Rideau und den Big Rideau Lake. Big Lake bedeutete große Wellen. Das südliche Ende des Big Rideau hat meist die größten Wellen des Rennens. Im Jahr 2014, als das Rennen zum ersten Mal organisiert wurde, musste der Direktor aus Sicherheitsgründen sogar abbrechen. 3 km nach den Narrows öffnet sich der See. An der breitesten Stelle erstreckt sich das Wasser 6 km nach Südwesten. Das ist genügen Wasserfläche, um ein paar Wellen zu erzeugen. Dieses Jahr hatten wir Glück. Obwohl die Wellen höher waren als am Newboro Lake, war es nicht so unangenehm wie am Lake Ontario am Anfang.
Nach weiteren 5 km verlassen die Paddler das offene Wasser. Nach weiteren zwei Stunden passiert man Rideau Ferry. Trotz des Namens (Ferry == Fähre) ist es eigentlich eine Straßenbrücke. Er markiert den Beginn des Lower Rideau Lake - dem letzten See der Strecke.
Das war der Bereich, in dem ich meine ersten schwachen Momente hatte. In den dunklen Winkeln meines Geistes suchte ich nach lahmen Ausreden, warum ich das Rennen in Smith Falls aufgeben würde. Ich wäre dann länger gepaddelt als je zuvor. Das Rennen spielt keine Rolle; wer ist so verrückt, 200 km hintereinander zu paddeln, blah, blah, blah …
Blödes Zeuch wie dieses.
Aber ich hatte immer noch einen halben Liter Starbucks Kaffee Latte in meiner Thermostasse. Der Kaffee kombiniert mit 150 Gramm Marzipan hob meine Stimmung. Nach einer kurzen Pause konnte ich wieder eine Geschwindigkeit von ca. 7 km/h halten. Ich sang lautstark deutsche Volks- und Kampflieder - “Wenn alle Brünnlein fließen”, “Auf Du junger Wandersmann”, “Spaniens Himmel breitet seine Sterne”, … Niemand konnte mich hören, niemand konnte mich beurteilen, aber es half, die Müdigkeit in den Muskeln, die Schmerzen zu lindern.
Schmerz ist eine interessante Sache. Wenn man ihn lange genug ignoriert, hört es irgendwann auf. Meine Schulter- und Nackenmuskeln taten weh. Ich hatte manchmal Krämpfe in meinen inneren Oberschenkeln. Aber mit der Zeit wurde dies immer weniger ein Thema. Ich glaube, das Gehirn schaltet dann bestimmte Kommunikationsleitungen im Körper ab. Wie mein Kollege am Montag meinte: “it’s mind over matter”. Auf Deutsch würde ich wohl sagen: Was mich nicht umbringt, macht mich stärker. Wenn du das schaffst, wirst du am Ende erfolgreich sein.
Und weiter geht’s!
Ich hör auf.
Nein, tue ich nicht.
Los, los!
Alles im Kopf.
Am Ende des Lower Rideau gibt es eine mögliche Abkürzung - den so genannten Mud Cut. Ich habe den Eingang bei Google Maps gefunden. Ich habe einen Wegpunkt in meinem GPS erstellt. Ich konnte es nicht finden. Nach einer kurzen Suche kehrte ich einfach auf den Navigationskanal zurück und fuhr auf der empfohlenen Route weiter.
Als ich nach Poonamalie kam, hatte die Dämmerung schon eingesetzt, aber es war noch hell. Vor zwei Jahren - als ich bei meinem ersten Teilnahme 100k für den K½O paddelte - war es bei meiner Ankunft schon pechschwarz. Ich war froh, meinen Schwager am Dock zu sehen. Ich gab ihm eine große Umarmung. Wir hatten ein kurzes Gespräch, in dem wir beschlossen, all die großen Veränderungen in Smith Falls vorzunehmen, wo der Parkplatz direkt an der Anlegestelle liegt. Ich würde ihm zeigen, was ich brauche, und einige Dinge holen, die er vielleicht nicht so leicht in meinem Auto findet. Ich packte meine Stirnlampen. Als ich Poonamalie verließ, war es fast dunkel.
Ich bin in Smiths Falls kurz vor 22 Uhr eingetroffen. Es war die längste Distanz die ich je gepaddelt bin. Der Stopp ist sowas wie Halbzeit. Es ist eigentlich mehr als die Hälfte, denn ich war schon bei 107 km. Die 100-Kilometer-Starter waren bereits um 18 Uhr gestartet und schon vor uns durch. Ab jetzt begann für mich unbekanntes Terrain. Währen der Planung hatte ich ursprünglich überlegt, mir trocken Sachen anzuziehen. Das habe ich aber doch nicht getan. Es wäre viel zu schwierig gewesen sich umzuziehen. Ich war schon so steif. Es hätte mich weitere 5 Minuten und mehr Zeit gekostet. Ich habe nur meine Paddeljacke angezogen und von Halbfinger- auf Vollfingerhandschuhe gewechselt.
Als nächstens kamen nun acht weitere Schleusen mit Umtragen bis ich Burritts Rapids erreichen würde. Die nächste Schleuse war nur 400 m entfernt. Ich habe nicht mal meine Spritzdecke festgemacht. Unnötig zu sagen, dass Kent es nicht geschafft hat mir dorthin zu folgen. Ich trug mein Kajak über die 220 m zum Einsetzen. Es wurde jetzt einfacher, weil seit Newboro alle Schleusen absteiged waren.
Nächster Halt war Old Slys Locks. Dies ist eine der beiden Schleusen, in denen ich Hilfe beim Tragen meines Bootes nehmen durfte. Kent hat mich um zwei Minuten oder so verpasst. Es dauerte länger, von Schleuse zu Schleuse mit dem Auto zu fahren als zu paddeln. Der Helfer in Old Slys war ein Mann, der dies schon zum vierten Mal in Folge tat. Er verbrachte sein Wochenende unter einem Baldachin an einer Schleuse im ländlichen Ontario, um Paddlern zu helfen, ihre Boote durch die Nacht zu transportieren. Ich danke allen Freiwilligen, die dieses Rennen erst möglich machen. Ihr wart entscheidend für unseren Erfolg. Alle Transportwege wurden sorgfältig mit LED-Stäben markiert. Auf jeder Schleuse war eine Person, die mich durch die unbekannten Pfade führte. Danke an die Dame, die mir einige ihrer Tabletten gegen mein Sodbrennen gegeben hat! Ich weiß nicht mehr, welche Schleuse das war. In der Erinnerung verschwimmt alles. Ich unterhielt mich mit dem Typ von Old Slys, während er den Bug meines Kajaks trug (später erfuhr ich, dass mein Helfer in der Nacht Robert Douglas aus Ottawa war). Ich dankte ihm, dass er uns Verrückten helfen würde, unseren Traum zu erfüllen (oder Alptraum?). Er sagte, das wäre etwas, an das ich mich auf meinem Totenbett erinnern werde. Ich habe etwas getan, was 95% der Leute nicht tun würden. Es gäbe kein Bedauern.
Danke, Mann! Wie könnte ich jemals den Gedanken haben aufzugeben, wo mir so viele gute Leute helfen.
Brian hatte mich in Smiths Falls eingeholt. Ich wurde schwächer und er wurde immer stärker. Ich konnte nicht mehr mit ihm mithalten. Ich folgte seinem kleinen glühenden Licht vor mir, bis es schließlich verschwand. Leider habe ich ihn nach dem Rennen nicht mehr gesehen. Mir wurde gesagt, er müsse am nächsten Morgen einen Flug in die North West Territories nehmen, wo er als Expeditionsleiter arbeiten würde. Toller Typ!
Navigieren am Tag war einfach. Man einfach nur dem Navigationskanal folgen, der durch grüne und rote Bojen gekennzeichnet ist. Jede Boje ist mit einer eindeutigen Nummer gekennzeichnet. Alle Bojen sind mit den Nummern im Atlas markiert. Wenn man im Zweifel sind, wo man sich gerade befindet, dann paddeln man einfach zur nächsten Boje, liest die Nummer und finden sie auf der Karte. Ganz einfach.
Bei Nacht wird es interssant. Ich hatte die offizielle GPX-Strecke der K2O-Organisatoren benutzt, um eine Route auf meinem Garmin eTrex 20x zu erstellen. Die folgt meistens dem Navigationskanal. Die Betonung liegt auf meistens. Es gibt Segmente, in denen die GPX-Route durch das Unkraut führt, was das Boot deutlich verlangsamt. Das Unkraut klebt auch am Paddel. Du musst das Ding ständig säubern. Die Stirnlampen helfen. Das Gemini Duo machte die Nacht zum Tag. Ich konnte die nächsten 100 m der Strecke oder sogar mehr übersehen. Ich habe es aber nicht oft benutzt, um meine Nachtsicht aufrechtzuerhalten.
Ich habe mein GPS auf eine Anzeigezeit von 30 Sekunden eingestellt. Wenn ich an einem Wegpunkt ankomme, piepst es und die Anzeige geht an. Ich habe dann 30 Sekunden Zeit, um den Kajak in die neue Richtung zu bringen. Das ist genug Zeit. Danach wählte ich einen Stern vom Himmel vor mir aus und steuerte ihn an bis zum nächsten Wegepunkt. Ich fühlte mich so cool. Es war wie bei den alten polynesischen Seefahrern.
Während ich nach der Kilmarnock Lockstation suchte, begann der nächste Tag. Ich verpaßte die Einfahrt zur Schleuse, weil sie mit weißen und roten Bojen ausgewiesen war. Bei den meisten anderen Schleusen würden genau diese Bojen den gesperrten Weg markiren. Nur diesmal haben sie einen Weg zum Steg aufgezeigt. Nach 50 Metern bemerkte ich meinen Fehler und drehte um.
Nach der Kilmarnock-Schleuse gab es einen der obengenannten Wendepunkte, der mich direkt ins Unkraut führte. Ich habe gekämpft, um einen Weg zu finden. Ich wollte zum Navigationskanal zurück. Während ich mit meinen Karten herumfummelte, entdeckte ich ein Licht, das sich mir näherte.
Jemand hat gefragt: “Bist du in Ordnung?”. Ich habe Radus Stimme erkannt.
Ich sagte: “Ja”.
“Willst du dich uns anschließen. Je mehr, desto besser, wie man sagt. (the more, the merrier)” Ich hörte ihn kichern.
Wir blieben für kurze Zeit dicht beieinander. Aber die Dos Amigos navigierten etwas anders als ich und ich lies sie vorerst hinter mir zurück.
Nach fünf weiteren Schleusen kam ich schließlich zur gleichen Zeit wie die Dos Amigos in Burritts Rapids an. Wegen Bauarbeiten gab es eine Fußgängerbrücke über den Fluss, die wir umtragen mussten. Eric - der Rennleiter - hatte uns davon erzählt. Wir mussten die Boote verlassen, sie aus dem Wasser heben und auf der anderen Seite wieder einsteigen. Das hätte ich um 4 Uhr morgens nach mehr als 150 km Paddeln nicht gebraucht.
Kent wartete am Dock auf mich. Wir haben mich mit Essen und Trinken aufgefüllt. Ich habe meine kleine Blase gegen die große getauscht und sie wieder ins Cockpit gepackt. Ich ging auf die Toilette, weil in den nächsten 6 oder 7 Stunden nichts kam.
Ich sprach offenbar Deutsch mit Kent, wie er uns später sagte. Nicht, dass er etwas verstanden hätte. Er sagte nur: “Ja, Kumpel, du machst das großartig.” und “ahem” und “ah”. Ich erinnere mich an nichts.
Die Tiefe der Nacht war vorbei. Wir konnten die Morgendämmerung am Horizont sehen. Ich ließ meine Stirnlampen und die Batterien bei Kent, der nach Hause fuhr, nachdem er die ganze Nacht mit mir von Schleusenstation zu Schleusenstation hüpfte.
Die Helfer auf Burritts Rapids erzählten uns eine Geschichte über Shawn (Team Creek Freak).
Als er den The Long Reach begann hatte er drei Stunden Vorsprung vor dem zweiten Boot, The Bickersons. Die waren der Sieger von 2016. Es wäre das erste Mal in der Geschichte des Rennens, dass ein Einzelkajak die Kanus schlagen würde. Eine Stunde nachdem er Burritts Rapids verlassen hatte, drehte er um und kam zurück. Die Helfer denken, dass er sich in einer Inselgruppe weiter nördlich vertan hatte.
Ins Ziel kam er letztendlich nur 8 Minuten nach den The Bickersons und blieb knapp unter 24 Stunden. Stell Euch vor, was er hätte erreichen können, wenn er diesen Fehler nicht begangen hätte.
Er gewann Preisgeld und auch einen Preis bei der After-Race-Feier. Es wurde viel gehänselt, dass er das Geld an ein GPS umsetzen sollte. Ich gratulierte ihm zu seinem dennoch phänomenalen Ergebnis und sagte ihm, dass ich nie ohne GPS gehen würde. Er sagte mir, dass er tatsächlich ein GPS benutzt! Was passierte, war, dass er in einer Pause mit seine Glühlicht rumfummelte und das GPS aus seiner Brusttasche fiel. Als er es zurücklegte, tat er es verkehrt herum rein. Er bemerkte seinen Fehler nicht, bis er Burritts Rapids wieder erreichte.
Ich denke, das ist ein klassischer Fall von “Marathon-Dummheit”. Es war spät in der Nacht - er kam kurz nach 20 Uhr in Burritts an. Er paddelte 14 Stunden lang auf sehr hohem Niveau. Sein Gehirn hat nicht funktioniert. Sein ganzes Blut war in seinen Muskeln. Das Gehirn schaltet sich so weit wie möglich ab. Über dieses Phänomen habe ich von meinem Lauftrainer gelesen. Bei Marathons gehen die Leute auf die Toilette und wenn sie das Töpfchen verlassen, gehen sie in die falsche Richtung. Sie kriegen nichts mehr mit. Shawn hatte noch weniger Umweltreize. Es war dunkel, er war erschöpft. Ich denke, er sollte mit einer Route auf seinem GPS arbeiten. Ich weiß nicht, ob er das tat. Wenn er nur einen GPS track geladen hat und es nicht in eine Route umgewandelt hatte, könnte das zu dem Problem beigetragen haben. Vielleicht kann er es uns sagen was es war, wenn ich ihn das nächste Mal sehe.
Um 4:48 Uhr legte ich ab. Ich schaute auf mein GPS, um den genauen Zeitpunkt des Sonnenaufgangs herauszufinden, was dazu führte, daß es abstürzte. Ich musste die Batterien entfernen, um es wieder einzuschalten. Während ich es tat, wurde mir klar, dass ich immer noch mit den gleichen Batterien vom Anfang arbeitete. Nach 23 Stunden waren diese immer noch stark genug. Ich habe sie trotzdem aus Vorsichtsgründen ausgetauscht. Wer weiß, welche Bedingungen vor mir liegen würden. Während ich an dem Gerät bastelte, paddelten die Dos Amigos vorbei. Wir wünschten uns gegenseitig Glück. Das war das letzte Mal, dass ich sie auf dem Wasser sah.
Die Wettervorhersage sagte Wind mit 10 - 20 km/h aus Nordosten und 60% Regenwahrscheinlichkeit für Sonntag voraus. Jetzt, in den frühen Morgenstunden war es noch völlig ruhig.
Das sollte nicht lange so bleiben. Um 05:30 Uhr nahm der Wind auf. Der Rideau River fließt hauptsächlich in Richtung Nordosten. Das bedeutete Gegenwind bis ins Ziel. Ich hatte gehofft, die Vorhersage wäre etwas ungenau, aber das Wetter war genau so, wie es vorhergesagt wurde.
Nach dem Rennen schaute ich auf der Website von Environment Canada nach dem Meßdaten für Sonntag: Die Windgeschwindigkeit lag bei über 30 km/h plus Böen. Es war ekelhaft. Manchmal habe ich nur 4 - 5 km/h gemacht. Es fühlte sich sogar noch weniger an, aber zumindest gab mir das GPS die echten Daten.
Es war zum verzweifeln.
Gegen 6:00 Uhr morgens hielt ich an um zu essen und über meine Möglichkeiten nachzudenken. Die letzte Schleusenstation verließ ich nur 16 min unter meinem “7,5 km/h Fahrplan”. Ich hatte eine Menge Puffer, um die Zeitmarke in Long Island um 15 Uhr zu schaffen. In 9 Stunden hatte ich noch 35 km vor mir. Das heißt, selbst wenn ich nur 4 km/h fahren würde, könnte ich es noch schaffen. Aber es wäre eine Schinderei.
Und so paddelte ich weiter.
Um 07:30 Uhr fing es an zu regnen.
Es ging einfach weiter und weiter und weiter und weiter und weiter und weiter. Links - rechts - links - rechts - rechts - links - rechts - ….
Ich war nach 24 Stunden Paddeln todmüde. Ich begann Muster in Dingen um mich herum zu sehen, die nicht da waren. Da lag ein kleines U-Boot auf der linken Seite mit Tintenfischbeinen vor einer Villa. Wer würde das wohl auf dem Rideau brauchen. Als ich näher kam, war es ein gewöhnliches kleines Motorboot. Was wie die Glashalbkugel aussah, war der Außenbordmotor und die Tintenfischbeine waren nur die Fender, die das Boot vor Beschädigungen zu schützen.
Dann dieses Haus hinter den Bäumen. Es schien große Buchstaben an der Wand zu haben. Ich versuchte zu lesen, was es bedeutete, nur um zu erkennen, dass die Buchstaben die Fenster waren.
Mein Verstand fing an verrückt zu spielen. Ich frage mich, ob LSD einen ähnlichen Einfluss auf das Gehirn haben würde.
Plötzlich hörte ich: “Wie geht es heute Morgen?”
Rechts neben mir tauchte jemand auf. Es war ein Paddler auf einem Stellar Surfski. Er war der Führende des 50km-Felds. Die waren um 6 Uhr morgens von Burritts Rapids aus gestartet. Ich erklärte ihm, dass ich einer der letzten 200er war. Er hatte einige ermutigende Kommentare für mich, bevor er abzog. Das muss John Dunkelberger gewesen sein. Danke für die guten Worte!
Nur 10 Minuten später bemerkte ich weit vor mir ein Kajak mit einem Mann im Wasser, der versuchte wieder ins Boot zu kommen. Er musste den windigen Bedingungen Tribut zollen. Ich konnte sehen, dass er immer wieder versuchte, in den Sitz zurückzukehren, aber jedes Mal, wenn einsteigen wollte, fand sich im Fluss wieder. Ich änderte meinen Kurs in seine Richtung, um ihm Hilfe anzubieten. Während ich langsam Fortschritte machte, überholte mich ein anderer Surfski auf der linken Seite. Aber bevor einer von uns nah genug heran kam, hat John die Kontrolle über sein Boot wiedererlangt und konnte weitermachen.
Ein Viertel nach 8 Uhr morgens passierte ich die Autobahnrücke 416. Das war ein gutes erhebendes Gefühl. Ich wusste, dass ich mich Ottawa nähere. Jedes Mal, wenn wir über die Brücke fuhren, sagte ich zu Lynne: “Eines Tages werde ich unter dieser Straße paddeln”.
Der Wind ließ nicht nach. Ich versuchte, ein wenig Schutz zu finden, aber es hat nicht viel gebracht.
Nach dem Rennen habe ich mir meine GPS-Strecke angesehen. Ich habe herausgefunden, dass ich sechs Mal für Minuten angehalten habe, um zu essen und mich auszuruhen. Ich war am Ende meiner Fähigkeiten.
Endlich nach 35 km und fast sieben Stunden konnte ich Long Island sehen. Den Name trägt die Insel nicht ohne Grund. Weitere fünf Kilometer mussten gepaddelt werden, bevor die Schleuse endlich auftaucht.
Es war 12:35 Uhr, als ich an der Long Island Lock Station ankam. Lynne und Phil warteten auf mich. Es war so toll sie zu sehen!
Ich habe siebeneinhalb Stunden gebraucht, um dorthin zu kommen. Mein gleitender Durchschnitt lag bei nur 5,6 km/h, mein Gesamtdurchschnitt bei 5,4 km/h.
Wegen der steilen Treppe durfte meine Crew mein Boot bewegen, was eine große Hilfe war. Ich bekam meine Kaffeeinfusion und weiter gings. Die letzten 14 km waren ein Kinderspiel (wie oft habe ich das schon gesagt?). Der Regen hatte aufgehört, aber der Wind nahm noch mehr zu. Aber wen kümmert es, wenn das Ziel nah ist?
Nach einem Tag neun Stunden fünf Minuten und 39 Sekunden hielt ich mein GPS an. Es zeigte einen Kilometerstand von 195 km an.
Ich war im Ziel!
Wer sich für die Details interessiert kann sich die Karte unter diesem link anschauen.
Ich plane noch einen zweiten Teil zu diesem Text mit den technischen Details.
Danke für Eure Aufmerksamkeit und Unterstützung.